Mythen der Sozialpolitik

Hrsg. Irene Dingeldey (dingeldey@uni-bremen.de), Sigrid Betzelt (sigrid.betzelt@hwr-berlin.de) sowie Ingo Bode (ibode@uni-kassel.de)

Das Themenheft versammelt Beiträge zu langjährig bekannten wie auch neueren „Mythen“ der Sozialpolitik. Ein Beispiel für solche „Mythen“ ist die aktuell wiederkehrende Stereotypisierung von Arbeitslosen als ‚arbeitsscheu‘. Dieser Mythos hat kürzlich erneut zu Verschärfungen im Sozialgesetzbuch II geführt. Solche Mythen finden sich u.a. im Zusammenhang mit der Regulierung von Arbeitsmärkten, die Absicherung von Lebensrisiken, die Organisation der Daseinsvorsorge oder auch die Gestaltung von Institutionen für Bildung und Erziehung. Entstehungshintergrund, die innere Logik und die Wirkungsweise solcher Mythen sollen wissenschaftlich fundiert erschlossen und kritisch diskutiert werden – auch mit Blick darauf, was sie verzerren. Es geht mithin um Mythen im Sinne von für wahr gehaltene Erzählungen, die bei der Begründung, Umsetzung oder Bewertung von Sozialpolitik(en) mitschwingen oder auch strategisch genutzt werden – auch als reine Programmatiken bzw. (fach-)öffentliche Diskurse, nicht zuletzt solche mit rechtspopulistischer Orientierung. Solche Mythen bewegen sich immer auf der Ebene von Diskursen – es gibt spezifische Problemdeutungen sowie kommunizierte Annahmen über Wirkungen und Zwecke von Programmen. Verbunden damit sind nicht eingelöste Versprechen, behauptete Defizite oder auch selektive (Schein-) Lösungen in den jeweiligen Politikfeldern. Beispielhaft zu nennen wären die mit bestimmten politischen Programmen bzw. Maßnahmen verbundene Aussicht auf (mehr) Chancengleichheit bezogen auf das Leben von und in Familien, die durch andere Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vielfach konterkariert wird – etwa mit Blick auf die Unterstützung von Studierenden derzeit in Abhängigkeit vom Einkommen der Eltern, die fragmentierte Familienförderung (über Kindergeld, kommunale Zuschüsse zur Kinderbetreuung, Steuergesetzgebung etc.), das sozial selektive Schulsystem, die krisenhafte Entwicklung des Bereichs frühkindlicher Bildung und Erziehung, oder das prekäre System beruflicher Weiterbildung bzw. des ‚lebenslangen Lernens‘. Was mythendurchsetzte Versprechungen anbetrifft, so ist die Ausblendung von Risiken beim Ausbau der betrieblichen Altersvorsorge zu nennen, die, wenn es um die Absicherung des Ruhestands geht, vielen heute als Mittel der Wahl gilt. Bezogen auf Diskurse der o.g. Art wäre neben der bereits genannten wiederkehrende Stereotypisierung von Arbeitslosen die (sozialpolitisch relevanten) Mythenbildungen im Bereich von Fluchtmigration und Zuwanderung zu nennen – sowohl seitens der Befürwortung von Zuwanderung als der Lösung für den Fachkräftemangel, als auch auf Seiten derer, die den nationalen Arbeitsmarkt „protektionistisch“ abschotten wollen. Mythengetrieben erscheint überdies die Propagierung von Digitalisierung als Allheilmittel gegen soziale Schieflagen verschiedenster Art, so zur Bekämpfung von Bildungsdefiziten oder zur Behebung der ‚Care-Krise‘ in der Pflege.

 

Mit einer solchen Perspektive auf das Mythenhafte in verschiedenen Feldern der Sozialpolitik sind Beiträge interessant, die feldübergreifende Analysen anbieten oder Themen wie die folgenden behandeln (die Liste ist nicht abschließend!):

  • die Befähigung zur Erwerbstätigkeit einschließlich der allgemeinen und beruflichen Bildung(steilhabe) sowie der Zugang zu tertiärer Ausbildung bzw. deren Finanzierung
  • die (generative) Reproduktion im Zusammenhang mit unbezahlter und bezahlter Care-Arbeit (Familienförderung, frühkindliche Bildung und Erziehung, Soziale Arbeit; auch mit Blick auf Beschäftigungs- und Entlohnungsstrukturen im Sozial- und Bildungswesen)
  • der Schutz vor Risiken der Erwerbsunterbrechung (Arbeitslosigkeit, Elternschaft, Krankheit, Erwerbsunfähigkeit) sowie Implikationen atypischer Beschäftigungsformen alter und neuerer Prägung (z.B. Plattformarbeit) auch bezüglich ihrer sozialen Absicherung (im breitesten Sinne)
  • die Verlängerung des Erwerbslebens sowie das Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit und die Alterssicherung sowie die Versorgung bei Unterstützungs- und Pflegebedürftigkeit im Alter.

 

Themenspezifisch oder übergreifend kann es auch um Abhandlungen gehen, die sich dem Zusammenhang zwischen kursierenden Mythen und dem Ziel einer egalitäre(re)n, wohlfahrtsstaatlich ermöglichten sozialen Teilhabe bzw. Fragen der sozialen Gerechtigkeit widmen.  Willkommen sind zudem Beiträge, die entsprechende Themen bzw. Politikfelder mit Akzent auf spezifische Lebenslaufphasen und -übergänge oder innerhalb und zwischen Generationen diskutieren, bspw. die Lastenverteilung bei der sozial-ökologischen Transformation oder Probleme des Zugangs zu bezahlbarem Wohnraum in bestimmten Lebensphasen.

Autorinnen und Autoren, die einen Beitrag einreichen möchten, schicken bitte sobald wie möglich, aber nicht später als bis zum 1. Februar 2025 eine kurze Skizze über den geplanten Beitrag (etwa 1/2 Seite) an die Herausgebenden – Irene Dingeldey (dingeldey@uni-bremen.de), Sigrid Betzelt (sigrid.betzelt@hwr-berlin.de) und Ingo Bode (ibode@uni-kassel.de) – sowie die Redaktion Dorothea Schäfer (vaw@uni-bremen.de). Der Abstract sollte den adressierten Mythos direkt benennen. Die Rückmeldung erfolgt innerhalb von zwei Wochen.

Wir akzeptieren englisch- und deutschsprachige Beiträge. Die fertigen Beiträge, die eine Länge von 40.000 Zeichen (vierzigtausend) nicht überschreiten sollen, müssen in der Erstfassung bis zum 1. September 2025 eingereicht werden. Es schließt sich ein maximal zweistufiger Peer Review- und Überarbeitungsprozess an. Manuskripte können nur im Word-Format eingereicht werden. Abbildungen benötigen wir als separate Dateien und in reproduktionsfähiger Qualität. Der Doppelband „Mythen der Sozialpolitik“ des Vierteljahresheftes zur Arbeits- und Wirtschaftsforschung soll voraussichtlich Ende Dezember 2025 erscheinen.

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Zu den Vierteljahresheften zur Arbeits- und Wirtschaftsforschung (VAW)

Die Vierteljahreshefte zur Arbeits- und Wirtschaftsforschung
VAW greifen aktuell wichtige Themen der Wirtschaftspolitik sowie der Arbeitsmarktentwicklung, auf und beleuchten sie aus einer angewandt wissenschaftlichen Perspektive. Dieser Leitidee verpflichtet, bündeln die VAW die Analysen der anwendungsorientierten Forschung zu arbeits- und wirtschaftspolitischen »Baustellen« sowie zu zentralen Zukunftsfragen in einem Themenband. Deutschsprachige und internationale Forscherinnen und Forscher kommen zu Wort. Neben der Anwendungs- und Praxisorientierung sieht sich die Zeitschrift auch den Zielen von Pluralität, Wissenstransfer und Relevanz verpflichtet.

In der Tradition der früheren Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung stehend, zielen die Vierteljahreshefte zur Arbeits- und Wirtschaftsforschung (VAW) darauf, Orientierungshilfe zu komplexen wirtschaftspolitischen Themen zu geben.

Arbeitsbezogene Thematiken wie Arbeitskraftnachfrage, Aus- und Weiterbildung oder auch spezifische Aspekte der Personalpolitik werden dabei ebenso betrachtet, wie Finanz- und Transformationsthemen. Auch in Zukunft ist es das Ziel, in den genannten Bereichen neue Perspektiven und praxisorientierte Lösungsoptionen aufzuzeigen.

Dank der Förderung der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft erscheint die VAW ab 2025 im Diamant Open Access. Damit entstehen den Autor:innen keine Publikationskosten und für Leser:innen sind die Artikel frei verfügbar.